Archiv der Kategorie: Paartherapie

Drama-Dreieck

Was soll dieses Theater? – Welches Rollenspiel außerhalb des Schlafzimmers bedenklich sein kann

Kennen Sie das Gefühl, klein, hilflos und schwach zu sein? Sie wollen sich durchsetzen und Ihre Meinung sagen, schaffen es aber irgendwie nicht? Dann spielen Sie wahrscheinlich die Rolle des Opfers. Besonders in Paarbeziehungen erleben wir, dass die Partner*innen in verschiedene Rollen schlüpfen, ohne es zu merken und damit für ein ungesundes Miteinander sorgen. Das Drama-Dreieck erklärt, um welches Rollenspiel es geht und wie es dazu kommt…

Da gibt es die klassische Verfolger*in: Sie/Er glaubt, allem und jedem überlegen zu sein. Dementsprechend nimmt sie/er sich die Freiheit heraus, andere anklagen, kontrollieren und kritisieren zu dürfen. Sie/Er weiß und kann ja schließlich alles besser! „Warum kannst du nicht einmal pünktlich sein?“ oder „Ich habe dir schon mindestens zehnmal gesagt, dass du den Müll runterbringen sollst!“. Wenn allerdings nicht jede/r nach seiner Pfeife tanzt, kann die Verfolger*in schon einmal schnell sehr wütend werden.

Ihr/Ihm steht das Opfer gegenüber: Es wird vom Verfolger „auserwählt“ oder es sucht sich seine Rolle unbewusst selbst aus. Es ordnet sich dem Verfolger unter, macht sich klein und denkt gar nicht daran, ihm zu widersprechen. Schließlich hätte es die notwendige Stärke und Macht dazu gar nicht. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als still auf Hilfe zu warten.

Da kommt die/der Retter*in genau richtig: Sie/Er ist zur Stelle, noch ehe das Opfer um Unterstützung bitten kann. Die/Der Retter weiß, was das Opfer braucht, tröstet es und verteilt Ratschläge. „Ich weiß genau, was jetzt das Beste für dich ist“. Wie sollte sich das Opfer schon allein aus seiner Situation befreien? Es steht außer Frage, dass es das ohne die/den Retter*in niemals schaffen würde.

Aber halt – Zuschauer*innen gibt es bei diesem Schauspiel doch gar nicht! Schließlich merkt das Paar nicht einmal, dass es auf der Bühne steht und geradewegs auf die völlige Frustration zusteuert. Beide sind blind für Problemlösungen. Keiner denkt mehr an ein Gespräch auf Augenhöhe. Beide leben ihre Rollen und vergessen dabei ganz, wer sie eigentlich sind und worum es wirklich geht.

Kein Paar spricht sich vorher ab und sagt „Heute darf ich mal die/der Retter*in sein, ja? Ich war schließlich gestern schon das Opfer“. Die Rollenverteilung passiert unbewusst, meist auch geleitet von Erfahrungen aus der Kindheit. Wenn Sie sich als Kind beispielsweise beim gemeinsamen Abendessen mit der Familie als Opfer gefühlt haben, weil Ihre Eltern Ihnen immer wieder vorgehalten haben, wie unzulänglich Sie sind, dann kann es sein, dass Sie auch als erwachsener, eigenständiger und  unabhängiger Mensch dazu neigen, in Ihrer Partnerschaft das Opfer zu spielen.

Sollten Sie merken, dass Sie und Ihr Partner/Ihre Partnerin sich gerade in einer Situation befinden, die Sie beide frustriert und unglücklich macht, dann kann es hilfreich sein, sich bewusst zu machen, wie Sie sich gerade verhalten, was Sie denken und was Sie fühlen. Bin ich in der Position der/des Verfolger*in und hacke zu Unrecht auf meinem Partner/meiner Partnerin herum, der/die sich nicht gegen mich wehren kann? Oder spiele ich mich gerade zu seinem/ihrer Retter*in auf, obwohl er oder sie überhaupt nicht darum gebeten hat, Ratschläge von mir zu bekommen?

Stellen Sie sich diese konkreten Fragen, wenn Sie das nächste Mal in solch einer Situation gelandet sind:

  • Wie erlebe ich die aktuelle Situation?
  • Was fühle und denke ich?
  • Was würde ich gerne mitteilen?
  • Welche Rolle übernehme ich gerade?
  • Kommt mir das aus meiner Kindheit vielleicht bekannt vor?
  • Welche Rollen spielen die anderen?
  • Und welche Angelegenheiten und Probleme betreffen tatsächlich mich, welche nehme ich mir nur an?

Sie können sich bewusst dazu entscheiden, Ihre ungesunde Rolle abzulegen und eine der folgenden Verhaltensvorschläge anzunehmen:

Die/Der Konfrontierer*in nimmt die Stelle der/des Verfolger*in ein. Sie/Er zieht niemanden zur Rechenschaft, sondern geht tolerant mit Fehlern um und äußert wohlwollende und konstruktive Kritik, ohne sein Gegenüber zu bewerten oder gar zu beleidigen.

Die/Der Hilfesuchende löst das Opfer ab. Sie/Er bittet aktiv um Unterstützung, ohne ihre/seine Mitmenschen auf eine höhere Stufe zu stellen. Sie/Er legt selbst fest, was sie/er braucht. Sie/Er hört damit auf, die Schuld bei anderen zu suchen und übernimmt stattdessen Verantwortung für ihr/sein eigenes Handeln.

Der Coach tritt als Nachfolger*in der/des Retter*in an. Er hört der/dem Hilfesuchenden zu und unterstützt nur dann, wenn er auch darum gebeten wird. Er nimmt sein Gegenüber als mündigen Menschen wahr, der sehr wohl im Stande ist, eigenständig Lösungen für seine eigenen Probleme zu finden. Schließlich ist Ihr Partner/Ihre Partnerin die Expertin/der Experte für sich selbst und für seine/ihre eigenen Angelegenheiten.

In der systemischen Beratung und Therapie agieren wir genau nach diesen Grundsätzen. Wir sehen in jedem Menschen das Potenzial und die Fähigkeit, sich selbst zu helfen. Wir begegnen uns auf Augenhöhe, hören aktiv zu und finden gemeinsam heraus, welche Stärken unsere Klient*innen bereits mitbringen. Wir bohren nicht in dem herum, was noch fehlt, sondern richten den Blick auf das, was bereits da ist und auf die Lösung.

Sollten Sie also demnächst feststellen, dass Sie Teil eines Dramas sind, halten Sie kurz inne und fragen Sie sich, was Sie jetzt gerade wirklich denken und fühlen. Achten Sie auf sich und reflektieren Sie sich für einen kurzen Moment. Sollten Sie sich dabei Unterstützung wünschen, vereinbaren Sie gerne einen Termin für ein Gespräch mit unseren Berater*innen.

Von Alexandra Klein

 

Zum Nachlesen:

Karpman, Stephen B. (1968). Fairy Tales and Script Drama Analysis. TA Bulletin

Frey, B. (2016) Drama-/Gewinner-Dreieck: Will ich Retter sein – oder Coach? In Schulz, M., Schoppmann, S., Hegedüs, A., Gurtner, C., Stefan, H., Finklenburg, U., … Hahn, S. (Hrsg.), Fremdsein überwinden – Kompetenzen der psychiartrischen Pflege in Praxis – Management – Ausbildung – Forschung (S.356 – 359). Bern: Verlag Berner Fachhochschule, Fachbereich Gesundheit, Forschung & Entwicklung / Dienstleistung Pflege